Die Macht von Geschichten in Kampagnen
Zahlen lügen nicht, aber Geschichten bringen die Wahrheit ans Licht. In einer Welt überflutet von nüchternen Daten und Fakten sind es Erzählungen, die uns berühren und Komplexes greifbar machen. Wir alle lieben Geschichten – doch nur die wenigsten verstehen ihre Kraft in Kampagnen. Stell dir vor, du könntest komplexe Themen so erzählen, dass sie jeder versteht und niemand gleichgültig bleibt? Das kann gutes Storytelling.
Vertieft man sich in die Materie, erscheint einem Storytelling gewaltig komplex. Noch schwieriger wird es, wenn wir Geschichten in Kampagnen nutzen wollen: Wie überträgt man die Heldenreise auf eine Kampagne? Was ist die Moral der Kampagne? Welche Rolle spielen Videotechniken, Musik und Bilder? Wie inszenieren wir Menschen? Können Daten Geschichten erzählen? Wann ist der richtige Moment für Erzählungen? Was hat Storytelling mit Branding zu tun? Lassen sich damit gar Strategien entwickeln? Ich zeige in dieser Serie, wie du mit Geschichten Kampagnen lebendig machen kannst.
In den letzten Jahren habe ich viel ausprobiert und Methoden entdeckt, die besonders gut in der Praxis von Kampagnen funktionieren. Meine Erfahrung: Anstatt sich in theoretischen Konzepten und komplexen Definitionen zu verlieren, ist es einfacher, einzelne Elemente von Geschichten zu verstehen und anzuwenden. So werden Kampagnen und Organisationen Stück für Stück erzählerischer. Es braucht keine Agentur oder eine komplexe Strategie. Probiert aus und schaut, was für euch funktioniert!
Ach ja, das ist meine Definition für Storytelling in Kampagnen: Geschichten machen komplexe Themen intuitiv verständlich. Erzählungen schaffen gemeinsame Orte für wirksames Handeln.
Los geht’s! Geschichten handeln von Menschen. Die innere Entwicklung der Protagonist:innen ist der Kern jeder Erzählungen. Und die kann auch Bestandteil der Kampagnenkommunikation sein: Eine Schülerin wird Kopf einer globalen Klimaschutzbewegung, ein Angestellter wird Organisator, eine Forscherin macht eine Entdeckung, ein Zyniker Aktivist, eine Mitarbeiterin zur Whistleblowerin und so weiter. Auch Kampagnen können solche Geschichten erzählen: Was treibt Menschen an, zum ersten Mal auf die Straße zu gehen, Widerstand gegen Konzerne zu leisten oder eine Regierung zu verklagen? Leid, Mut und persönliche Erfahrungen machen komplexe Themen wie Klimawandel, Migration oder Krieg nachvollziehbar und emotional verständlich.
Zu nackten Zahlen können wir keine Bindung aufbauen, egal ob es um Geflüchtete, Haushaltsbudgets oder den Temperaturanstieg auf der Erde geht. 1,5 Grad mehr lassen uns kalt, nicht aber das Schicksal eines Bauern, der auf seinem vertrockneten Feld weint oder die Erinnerungen einer alten Frau an ihren verstorbenen Mann, die in der Flut eines Hochwassers versinken.
Eines der bewegendsten Bücher über Frauenrechte, das ich je gelesen habe, ist „Die Hälfte des Himmels“ von dem New York Times-Journalisten Nicholas Kristof und seiner Frau Sheryl WuDunn. Sie porträtieren Frauen, die sich gegen Gewalt und Unterdrückung wehren. Zahlen zu Menschenhandel, Genitalverstümmelung und Gewalt bekommen plötzlich Gesichter und Geschichten. Dabei nicht zu weinen, fällt schwer. Aber wir lesen nicht nur von unendlichem Leid, sondern auch von Hoffnung und dem Mut dieser Frauen, die in all dieser Hoffnungslosigkeit nicht aufhören zu kämpfen.
In vielen Kampagnen war es zentrales Anliegen von mir, betroffene Menschen zu porträtieren. Zum Beispiel die Aktivist:innen im Hambacher Wald, Familien, die für Klimaschutz vor Gericht zogen oder den Landwirt Eckardt Heukamp, der letzte Bewohner des vom Tagebau Garzweiler zerstörten Dorfes Lützerath. Rund 300 Orten in Deutschland wurden für den Klimakiller Braunkohle zerstört, aber wahrscheinlich kein Betroffener ist so bekannt wie Eckardt Heukamp. Sein Porträt gehört zu den erfolgreichsten Videos auf Greenpeace Deutschlands YouTube-Kanal.
Als der Konflikt um Lützerath im Januar 2023 eskalierte, wuchs auch das Interesse am Schicksal von Eckardt Heukamp. Die Kommentare zeigen die tiefe emotionale Verbundenheit: „Ich habe Tränen in den Augen. Wie kann man einen Konzern so viel Grundlegendes mit Füßen treten lassen? Es entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.“ „Riesensauerei!!! Das tut so weh!! Oh Gott, wenn das meine Heimat wäre!!!“ „Der Mann hat alles menschenmögliche getan. Respekt!“ „Eckardt, du bist so ein Ehrenmann, du kannst so stolz auf dich sein! Meinen allergrößten Respekt! Lass dich nicht unterkriegen!“
Aber auch andere Geschichten sich wichtig in Kampagnen. Zum Beispiel die von Aktivist:innen. Ihr Mut motiviert andere, sich zu engagieren. Sie werden vielleicht nicht auf eine Plattform klettern, aber sie kommen zur nächsten Klimaschutzdemo.
Zugegeben, es ist mühsam, sich auf die Suche nach Menschen und deren Geschichten zu machen. Menschen haben eigene Vorstellungen und Charaktere. Aber sie können die Auswirkungen komplexer Themen aus ihren Alltagserlebnissen viel, viel besser vermitteln. Das können betriebliche Erfolgsgeschichten von Migrant:innen sein oder anschauliche Klimafolgen. Organisationen brauchen das Rampenlicht. Trotzdem können sie auch eine Bühne für Geschichten sein und Betroffenen mit Medienkompetenz und Kampagnen zur Seite stehen. Geschichten von Menschen bieten für Organisationen auch Zugänge für klassische Medienarbeit. Denn Zeitungen und Fernsehsender sind stets auf der Suche nach packenden Storys für ihre Berichte zu globalen Themen.
Ein Beispiel: Am 29. April 2021 räumte das Bundesverfassungsgericht Klimaschutz Verfassungsrang ein. Grund dafür war eine Klimaklage. An ihr beteiligten sich mehrere Bauernfamilien, unter anderem die Backsens von der Insel Pellworm. Sie und andere Kläger:innen wurden von vielen Medien interviewt, bis hin zur New York Times. Organisationen können mit Betroffenen an politische Debatten teilzunehmen.
Geschichten von Menschen sind ein wirkungsvolles Gegenmittel gegen Populismus. Hass funktioniert nur, wenn man Schicksale ausblendet und Individuen zu einer kollektiven Bedrohung formiert. Mit einer “Flüchtlingswelle” beispielsweise werden Menschen rhetorisch als Naturkatastrophe verunglimpft, vor der man sich schützen muss. Erzählen wir Erlebnisse, Ängste und die Hoffnung betroffener Menschen, zeigen wir, dass wir viel gemeinsam haben, unabhängig von Herkunft. Populisten fällt es erheblich schwerer, gegen persönliche Geschichten zu hetzen.
Tipps:
- Nutze Kontakte zur Community oder zu Ehrenamtlichen: Wer bietet interessante Geschichten? Du kannst auch Kontakte zu Gruppen von Betroffenen knüpfen und Vertrauen aufbauen. Oder gibt es bestimmte Orte, wo ein Thema besonders sichtbar wird?
- Gibt Mitarbeitenden die Chance ihre eigene Stimme zu finden und ermutige sie eigene Netzwerke und digitale Kanäle aufzubauen.
- Du brauchst ein Netzwerk an Kreativen, die die Stimme deiner Organisation in Videos umsetzen können. Würde ich nicht mit so tollen Menschen zusammenarbeiten, wären die Videos sehr langweilig.
- Schaffe Raum für Emotionen (dazu später mehr).
- Vermeide in Innenräumen vor einer weißen Wand zu filmen. Das killt jede Atmosphäre.
Ausblick: Das war der erste Teil zu Storytelling in Kampagnen, mit der simplen Idee: Fokussiere Kommunikation auf Menschen! In weiteren Beiträgen wird es darum gehen, wie wir Geschichten im Netz starten, wie man Themen fühlbar macht, Storytelling mit Daten, Symbole und vieles mehr.
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